Demenz – gilt das letzte Testament?

Demenz – gilt das letzte Testament?

Bis zu 1,4 Mio. Menschen sind heute in Deutschland an Demenz erkrankt, so sagt das Bundesministerium für Gesundheit. Bis zum Jahre 2030 kann sich Zahl auf 2,2 Mio. Personen erhöhen. Täglich hören wird von nahen Bekannten oder Verwandten die Diagnose Demenz. Was ist, wenn der Demenzkranke in diesem Zustand ein Testament ändert, das die bisherige Vermögensnachfolge „auf den Kopf stellt“?
Meistens entbrennt ein Streit zwischen den Begünstigten und denjenigen, die nunmehr um ihr Erbe gebracht worden sind. Der Streit dreht sich um die Frage, gilt das letzte Testament? Zunehmend werden diese Streite vor Gerichten ausgetragen. Das Gericht hat die Frage zu untersuchen, ob im Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine Testierunfähigkeit vorlag.

Die Demenz kann sich in der degenerativen Form oder der vaskulären Form zeigen. Bei der degenerativen Form (Alzheimer, Lewy-Körperchen- oder Parkinson) verändern sich Teile des Gehirns, wie Nervenzellen oder Synapsen. Bei der vaskulären Demenz wird die Durchblutung des Gehirns negativ verändert.

In einer sehr neuen und beachtenswerten Entscheidung sagt das Oberlandesgericht in München, dass neben dem klar geäußerten Willen, wer Erbe sein soll, vor allem Voraussetzung ist, dass

der Erblasser den Inhalt des Testamentes von sich aus bestimmt hat und
sich aus eigener Überlegung ein klares Urteil über die Tragweite der Anordnung bilden konnte.

Ob diese abstrakten Formulierungen im Einzelfall erfüllt sind, entscheidet das Gericht selten aus eigener Sachkenntnis. Vielmehr werden Fachärzte für Neurologie herbeigezogen. In der Regel bestellt das Gericht einen Sachverständigen.

Hieraus ergibt sich, dass vielfach vorgebrachte Beweismittel keinen großen Beweiswert haben. So gilt die Feststellung des Notars, dass er sich von der Geschäftsfähigkeit überzeugt habe, nicht als Beweis. Der Notar ist kein Mediziner. Der Notar hat keinen Sachverstand wie der Neurologe. Der Notar fragt unter Umständen nach dem Datum und wer denn Erbe sein soll. Äußert der Demenzkranke einen klaren Willen, reicht das nicht aus. Mit vielen Demenzkranken ist eine normale Unterhaltung möglich. Auch die Willensäußerung funktioniert oft gut.
Grundlage der Testierfähigkeit ist dagegen die Willensbildung und nicht nur die Willensäußerung. Dies gilt auch, wenn die Willensäußerung heftig und mit erheblichem Nachdruck erfolgt. Bei Demenzkranken ist es üblich, dass in einer emotionalen Angelegenheit heftiger reagiert wird. Die Heftigkeit belegt jedoch nicht, dass die Fähigkeit vorhanden ist, die Tragweite der Entscheidung zu erkennen. An dieser Stelle entstehen viele Fehlvorstellungen. Die medizinischen Laien, somit auch der Notar, fallen auf die Aufrechterhaltung der sprachlichen Fassade herein. Sie erkennen nicht, dass die Fähigkeit zur Bildung eines eigenen unabhängigen Willens schon lange weggefallen ist.
Der Tiefblick soll nach Ansicht des Gerichts nur den Spezialisten vorbehalten sein. Ein Hausarzt oder ein Nichtneurologe scheiden vorn vorne hinein aus. Das Gericht geht sogar noch weiter und spricht auch neurologischen Fachärzten Kompetenz ab. Für eine zuverlässige Beurteilung müssen eine Vielzahl von Tests durchgeführt werden. Es kommen Namen wie Mini-Mental-Test, Uhrentest, SMSE-in Spiel. Punkte werden für den Gesundheitszustand vergeben. Dies alles geschieht um schwerste Verluste bei der Merk–, Kritik- und Urteilsfähigkeit aufzudecken.
Die Arbeit der Sachverständigen ist schwierig. Zum Teil überlagern sich verschiedene psychische Beeinträchtigungen. Diese muss der Sachverständige voneinander trennen. Für den Laien gehören sie oft zusammen. So können Schwankungen bei der Gedächtnisleistung sowohl einer dauerhaften Erkrankung wie der Demenz zuzuordnen sein als auch einer nur vorrübergehenden (deliranten) Phase, die eventuell auf Medikamente oder Flüssigkeitsverlust zurückzuführen ist.

Bei Untersuchungen fragen die Sachverständigen die Demenzkranken, ob sie den Grund der Untersuchung kennen, das Datum, das Jahr und wo sich die Patienten befinden. Bei Gesprächen versuchen die Sachverständigen Erinnerungslücken aufzudecken und festzustellen, ob diese durch Erfindungen aufgefüllt werden (konfabulieren). Werden im kurzen zeitlichen Abstand auf die gleichen Fragen unterschiedliche Antworten gegeben, so deutet das darauf hin, dass der Demenzkranke in seiner Urteilsfähigkeit stark eingeschränkt ist und sich auch den Sachverhalt und die kurz vorher gestellte Frage nicht mehr erinnern kann. Normalerweise deutet das darauf hin, dass der Demenzkranke viele Informationen in der Vergangenheit nicht richtig abgespeichert hat und ein nunmehr geäußerter Wille nicht mehr das Ergebnis einer eigenen Überlegung ist.

Häufig bringt ein Beteiligter vor, dass der Demenzkranke noch lichte Momente gehabt habe. Nach der Ansicht eines der führenden Forscher auf dem Gebiet der Neurologie wird dieser Umstand derzeit hoffnungslos überschätzt. Bei einer schon länger bestehenden Demenzerkrankung seien kurzfristige Stunden oder Tage mit der Wiedererlangung der Urteilsfähigkeit so gut wie ausgeschlossen. Die Demenzerkrankung sei eine chronische fortlaufende Erkrankung. Hierbei werden viele für die Urteilsfähigkeit relevanten Tatsachen nicht aufgenommen. Erlebt der Demenzkranke einen guten Tag, beseitigt das nicht den vorher eingetretenen Verlust der Urteilsfähigkeit. Die möglicherweise verbesserte Sprachfähigkeit oder das Erinnerungsvermögen beruhe unter Umständen auf einer anderen, starken Schwankungen unterlegenen zusätzlichen psychischen Erkrankung.

Als Fazit bleibt damit festzuhalten, dass sehr viele Testamente mehr auf den Prüfstand gehören, die die Demenzkranken in den letzten Jahren ihrer Erkrankung errichtet haben.

Wie sollten Sie mit dem Fazit umgehen? Haben Sie Anhaltspunkte dafür, dass das letzte Testament lediglich aufgrund eines erklärten Willens errichtet worden ist, obwohl Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die (kognitive) Merk-, Urteils- und Kritikfähigkeit vorlagen, sollten Sie eine Überprüfung erwägen. Es ist möglich, bei Gericht eine Klage zu erheben, bei der das Gericht die Testierunfähigkeit feststellen lässt.

 

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